Franziska Stiegler ist Psychologin und Referentin
für Gesundheitsförderung beim BKK Dachverband.
Sie koordiniert das Projekt psyGA – Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt.

Praxistipp

Die psyGA hat ein eLearning-Tool für Beschäftigte zum Erhalt der psychischen Gesundheit entwickelt.

Wie wir unsere Psyche in Zeiten der Corona-Krise schützen

Die massiven Folgen der Corona-Pandemie verunsichern Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen. In der aktuellen Krise sollte der Fokus daher nicht nur auf der physischen, sondern auch auf der psychischen Gesundheit liegen. Wie man mit den Belastungen und Sorgen am Arbeitsplatz umgehen kann, erläutert Franziska Stiegler, psyGA-Projektleiterin beim BKK Dachverband in Berlin.

Frau Stiegler, Unternehmen müssen ihre Arbeit umstellen oder sogar aussetzen, Mitarbeitende machen sich Gedanken um ihre Gesundheit oder haben Angst um ihren Job. Was bedeutet die aktuelle Situation für Betriebe und Beschäftigte? Was erleben Sie derzeit?

Auch bei uns dominiert die „Corona-Krise“ die Arbeit und Gespräche. Im psyGA-Netzwerk findet viel Austausch dazu statt, was die wirtschaftlichen, aber auch gesundheitlichen Folgen der derzeitigen Ausnahmesituation sind. Beides gehört eng zusammen, wenn es z. B. um das Thema Arbeitsplatzsicherheit geht. Uns ist jetzt wichtig zu zeigen, dass man in Krisen wie diesen effektiv etwas für die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz tun kann und sollte. Als Kooperationsprojekt aus Gesundheit, Wirtschaft und Wissenschaft können wir einiges an Fachwissen und praktischen Tipps einbringen.

Welche Rolle spielen die Führungskräfte in der aktuellen Situation? Wie sollten sie sich verhalten und kommunizieren?

Es gilt die alte Faustregel: Die Haltung der unmittelbaren Führungskraft ist für die Mitarbeiter entscheidend. Wenn wir wollen, dass die Beschäftigten die offiziellen Verhaltensregeln einhalten, dann müssen das auch ihre Führungskräfte konsequent tun. Sie sind hier Vorbild. Darüber hinaus haben sie eine Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitern. Sie müssen sachlich und bedacht mit ihnen kommunizieren, Informationen geben, aber auch Bedenken und Sorgen ernstnehmen. Die Devise muss lauten: beruhigen, ohne zu beschwichtigen.

Wie erkennen Führungskräfte, ob es den Mitarbeitern in der Krise gut geht?

Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Krisen: von totaler Verleugnung über Sensibilität bis hin zu Panik. Natürlich ist das auch tagesformabhängig. Führungskräfte sollten daher ihr Team im Blick behalten. Besonders aufmerksam sollten sie werden, wenn das Verhalten einer Person irritierend ist. Wenn jemand immer zupackend und offen war und jetzt panisch reagiert, ist das ein Grund nachzufragen, Hilfe anzubieten. Zudem gibt es in vielen Unternehmen Unterstützungsangebote wie eine Gesundheitsoder Sozialberatung, einen Betriebsarzt. Diese Angebote sollten Führungskräfte unbedingt und wiederholt kommunizieren.

Blicken wir auf das Thema Homeoffice. Viele Beschäftigte machen gerade das erste Mal umfassender Erfahrung damit. Was raten Sie Führungskräften, damit es gelingt?

Unersetzlich ist natürlich die technische Infrastruktur. Darüber hinaus gibt es ein paar Regeln, die helfen. Erstens: Bleiben Sie in Kontakt und vereinbaren Sie hierfür feste Zeiten. Nichts ist schlimmer als überraschende Anrufe durch die Führungskraft, nur um der Kontrolle willen. Zweitens: Treffen Sie klare Abmachungen, was bis wann zu erledigen ist. Damit machen Sie deutlich, dass das Ergebnis zählt, nicht der Weg. Das funktioniert in der Regel gut, da die meisten Mitarbeiter Selbstorganisation gewohnt sind. Und drittens: Tauschen Sie sich ausdrücklich darüber aus, was im Homeoffice funktioniert und was nicht. So können Sie an den Stellen nachsteuern, wo es noch nicht rund läuft.

Und was empfehlen Sie Mitarbeitenden, die aufgrund der jetzigen Ausnahmesituation wenig zu tun haben?

Wie in jeder Krise liegt auch hier eine Chance. Bis vor kurzem drehte sich die Diskussion noch um Arbeitsverdichtung, Stress und den Wunsch nach Entschleunigung. Nun ist genau diese Situation eingetreten, wenn auch nicht freiwillig. Dennoch sollten wir das Beste daraus machen. Zum Beispiel kann man die vorhandene Zeit für Qualifizierung nutzen und sich endlich das aneignen, was man bisher nicht geschafft hat, etwa Tutorials im Internet anschauen oder Fachthemen nachlesen. Oder man nutzt die Zeit, um die Ablage aufzuräumen oder Maschinen und Werkzeuge auf Vordermann zu bringen. All das wird nützlich sein für die Zeit nach Corona.

Apropos Zukunft: Verändert das Corona-Virus die Belegschaften?

Die Gefahr besteht, wenn Stigmatisierung um sich greift. Das müssen wir vermeiden. Es ist wichtig, die Krankheit vom Menschen zu unterscheiden und die Weltgesundheitsorganisation zu unterstützen, wenn sie sagt: Wer von Covid-19 betroffen ist, hat nichts falsch gemacht, sondern verdient unsere volle Unterstützung und Herzlichkeit. Das können wir schon bei unserer Sprache zeigen, indem wir nicht von „Covid-19-Fällen“ sprechen, sondern von „Menschen, die wegen Covid-19 in Behandlung sind“.

Haben Sie zum Abschluss ein paar Faustregeln? Was ist das „Händewaschen“ für die Psyche?

Erstens: Minimieren Sie den Nachrichtenkonsum auf das Notwendige. Zweitens: Nutzen Sie seriöse Informationsquellen und prüfen Sie gut, wenn Sie Gerüchte hören. Drittens: Bieten Sie anderen Unterstützung an. Und nehmen sie auch selbst in Anspruch. Selbst wenn Sie das Gefühl haben, es (noch) nicht zu brauchen. Das festigt langfristig die sozialen Beziehungen. Und viertens: Konzentrieren Sie sich darauf, was nach wie vor alles möglich ist. Es gibt noch viel Freiheit, die man bewusst nutzen kann.

Herzlichen Dank für das Gespräch!